Vergangener Montag war der 9. Mai. Wer in der Schule in Geschichte ganz, ganz gut aufgepasst hat, der weiss, dass an diesem Tag vor 71 Jahren der zweite Weltkrieg endete. In Russland ist das offenbar so etwas wie Weihnachten, erster August und Ostern auf einen Schlag. Tausende Menschen überfüllten die Metro beinahe rund um die Uhr und bereits mehrere Tage im Voraus liefen die Menschen mit orange-braunen Schleifen umher, die an diesen „russischen Erfolg“ erinnern sollen.

Ich selbst hatte an diesem Tag die ausgezeichnete Idee, in der Stadt Essen zu gehen. Also habe ich im Internet ein Restaurant ausgesucht und eine eher spartanische Wegbeschreibung mit dem Handy fotografiert. Sie können sich denken: Es wurde ein kleines Desaster. Offenbar war die Haltestelle ausgerechnet ein Nebenzentrum der Feierlichkeiten. Minutenlang kam ich kaum aus der U-Bahn, weil tausende von Menschen Schlangen standen, um sich einem Marsch quer durch Moskau anzuschliessen. Bis ich zum Restaurant fand verging jedenfalls viel Zeit.

Viel interessanter aber waren die Menschen. Die meisten hoben ein Handschild in die Höhe, auf deren Plakate alte Bilder von Menschen abgedruckt waren. Meist waren es Männer in Uniformen, einige Bilder waren militärische Portraits, andere wiederum schienen Familienfotos zu sein. Ich gehe davon aus, dass sie damit an gefallene Verwandte gedachten. Die meisten machten Bilder von sich und den Plakaten oder skandierten Wörter. Eine Frau – etwa 50-jährig – weinte in den Armen ihres Mannes. Ich kann mir nicht erklären wieso, zumal sie den Weltkrieg keinesfalls hautnah erlebt hat. Dabei war sie nicht die Einzige, die offenherzig trauerte.

Mir wurde klar, wie weit entfernt ich persönlich von diesen Menschen bin. Einerseits habe ich mit 24 Jahren höchstens ein geschichtliches Interesse an dieser Zeit aber – insbesondere auch als Schweizer – überhaupt keinen Bezug. Ich war überrascht, wie präsent die Wunden des Weltkrieges offenbar immer noch sind. Zwar bin ich überzeugt, dass an diesem Tag auch vieles Propaganda ist und eine Stärkedemonstration Russlands dazugehört. Vor allem mit der pompösen alljährlichen Militärparade auf dem roten Platz. Aber an diesem Tag waren tausende Menschen unterwegs und gedachten einem Ereignis, das 71 Jahre zurückliegt. Mit all den Soldaten, Militaristen und Sicherheitsleuten war der Krieg viel präsenter. Als wäre er erst gestern zu Ende gegangen.

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