Am Samstag habe ich einen Toten besucht. Klingt komisch, ist aber so. Inmitten von Moskau, auf dem roten Platz, steht das Lenin-Mausoleum. Dieses ist nicht nur öffentlich und kostenfrei zugänglich. Vor allem sind dort die sterblichen Überreste von Wladimir Iljitsch Lenin, dem Begründer der Sowjetunion, „ausgestellt“. Der Körper, der vor 146 Jahren (!) geboren wurde, liegt in einem mit Panzerglas ausgestatteten Sarg und wird tagtäglich von mehreren 1000 Personen angegafft. Lenin, seit 92 Jahren tot, liegt dort, hat seine rechte Hand zu einer Faust geballt, während die andere die Finger ausgestreckt hält. Der einbalsamierte, organlose und künstlich ausgefüllte Körper ist gut erhalten, sodass es aussieht, als würde der als Menschenfreund dargestellte Diktator schlafen. Während wir im Westen Lenin als der Gründer vom gescheiterten, teuflischen Kommunismus sehen, wird er von den Russen immer noch als Nationalheld verehrt. Spätestens die gebannten und ehrfürchtigen Blicke der Besucher im Mausoleum haben das gezeigt.

Speziell mutet derweil an, dass Lenin diesen „Personenkult“ gar nicht wollte. Josef Stalin, sein Nachfolger an der Spitze der Sowjetunion, hat dies gegen seinen und den Willen von Lenins Frau veranlasst. Bis heute dient dieses öffentliche Grab den Russen aber als Pilgerstätte. Ein Ende ist nicht in Sicht. Forscher sprechen von weiteren 100 Jahren, die Lenin in dieser Form aushalten könnte. Bereits im Jahr 2016 war das für mich ein spezielles, ja sogar paradoxes Erlebnis.

Datei 23.05.16, 01 18 06Abgeschlossen habe ich meinen Besuch wie gewohnt mit den entscheidenden Spielen der Weltmeisterschaft. Gewonnen hat erneut das Mutterland des Eishockeys, was mich als heimlicher Kanada-Freund freut. Das Rezept der Ahornblätter für das Finale gegen Finnland war derweil so fest kanadisch, dass es kaum mehr kanadischer sein konnte. Sie spielten die Scheibe tief in die Ecken, liefen viel, gewannen die Zweikämpfe und zeigten Härte. Ihre defensive Stärke war die Offensive. Dass die wirklich grossen Namen im Kader des Titelverteidigers fehlten, beweist für mich, dass Kanada auch heute noch das Mass aller Dinge im Herren-Eishockey ist.

Der diesjährige Abschluss ist aber nicht wie jener der letzten Jahre. Ich werde in den nächsten Jahren die Weltmeisterschaften voraussichtlich nicht mehr komplett besuchen. Ich kann mir zwar vorstellen im nächsten Jahr einzelne Tage in Köln oder Paris zu verbringen, für weitere 19 Tage wird die Zeit wohl aber nicht mehr reichen. Moskau war ein würdiger und erlebnisreicher Abschluss von meinen Weltmeisterschaftsreisen. Sportlich, genauso wie auch kulturell.

 

Dieser Blog ist im Unter-Emmentaler erschienen.

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